Vergiss es
22 02 2008Früher warst du so stolz darauf. Jetzt steht dir die Verbitterung ins Gesicht geschrieben, wenn du in die Menge schaust. Ihre unwissenden Blicke. Ausdruckslos, ahnungslos vom Pathos der Tage des Anfangs, des Genesis, des absoluten Beginns – des Undergrounds. Diese Tage waren so geschichtsträchtig, und das hast schon damals gespürt. Alles improvisiert und selbstgemacht. Alles Unikate, Spezialanfertigungen, Zertifikate deiner Individualität. Deine Haare, deine Kleider, deine Sprache, deine Musik, dein Lebensgefühl. All das, was heute als normal angesehen wird. DU warst der Vorreiter, DU warst der ERSTE. Für dich waren es Blut und Tränen, die daran hingen; für die anderen ist es heute nur der Geldbeutel, der ihnen das möglich macht. Heute wird das toleriert, heute ist es Egoismus und Lifestyle, Mainstream und Jugendkultur, aber keine Lebenseinstellung mehr. DU warst true. DU warst außerhalb von allen und allem. DU mit deinen Freunden.
Aber
heute gibt es das alles auf Bestellung, am Fließband, Retorte, Konserve, Plastik, Pink, künstlich, per Internet. Das ist doch gar nichts. DU bist damals wirklich an Grenzen gegangen und hast sie überschritten. DU hast nie den Schwanz eingezogen. DU hast das alles allein geschaft. Ohne Geld, ohne Medien, aus Prinzip, aus Ideologie. Damals.
Du hasst sie! Sie dürften alle gar nicht hier sein, ohne dir nicht Respekt zu zeigen; dem, der das hier alles mit aufgebaut hat. Sie trampeln nicht nur herzlos und voller Unverständnis einem Trend nach, nein – sie trampeln auf DIR herum! Auf deinem Herzblut, deiner Seele, deine Vergangenheit, deinen Erinnerungen, deiner Jugend! Alles für die Katz’ …
Und du stehst da jetzt alleine da. Mit deinen alten Klamotten, denen von früher. Ohne deine Freunde. Die haben entweder schon früher verstanden, dass ihre Generation tot ist, oder sie waren nie wirklich dabei. Aber aus irgendeinem Grund nimmst du es ihnen nicht böse, aber es macht dich traurig. Wenn etwas
wirklich gut ist, dann hat es sowieso bald jeder.
Dein Bier wird warm und du merkst, dass du fehl am Platz bist. Kein Platz für dich, scheint an diesem Fleck zu sein, der früher deine Heimat war. Dann merkst du, dass du vielleicht einfach gehen solltest; dein Bier leer trinken und gehen. Nach Hause, solltest du gehen und dich einfach damit zufrieden geben, dass ohne DICH diese jungen und freien Menschen vielleicht gar nicht hier wären. Geh’ einfach. Vergiss es.
Dann gehst du. Und du kommst nicht wieder.
Denn deine Jugend hat dich gehen lassen.
Schubladen : Geschichten die das Leben schreibt