Die Geschichte von Mariella ist eine traurige Geschichte. Ich will euch von ihrem Leiden berichten, denn wenn jemand in unserer ergrauten, schadenfrohen Welt von Einsamkeit geknechtet wird, dann ist das Mariella.
Man sollte es eigentlich nicht glauben, dass so ein fabelhaftes Wesen wie sie einsam durch die Straßen der Stadt streifen musste. Schon so viele Kerle haben sich in ihr wunderschönes Lächeln und die kristallklaren Augen verliebt, grünblau über den runden Wangen eingebettet. Wenn sie blinzelte, dann wirkte das jedesmal so, als würde sie sich für ihre betörenden Augen enschuldigen wollen. Die nussbraunen Haare fielen leicht gelockt über ihre Schultern. Sie trug sie meist offen.
In diese Mariella haben sie sich alle verliebt, diese Windhunde. Doch wenn Mariella dann in trauter Zweisamkeit ohne böse Absicht beim Lächeln ihren Mund zu weit öffnete, dann ergriffen ihre Liebhaber in spe auch ebenso schnell die Flucht, wie sie sich
in ihren Bann haben ziehen lassen. Dann nämlich erscheinen sie, die spitzen Eckzähne, messerscharf und bedrohlich blitzten sie dann unter den hellroten Lippen hervor.
Sie wollte doch nie eine Vampirin sein, niemanden beissen, doch niemandem weh tun, erst recht nicht Menschen, die sich in sie verliebt hatten und die sie begann zu lieben. Wenn ihre Verehrer dann angstvoll die Türe hinter sich zuschlugen, dann sank sie in die Knie und begann zu weinen.
Das letzte Mal hatte sie einen Menschen vor 3 Jahren gebissen und als sie danach im Spiegel ihren blutverschmierten Mund betrachtete, da begann sie Angst vor sich selbst zu bekommen. Dieses Erlebnis bewog Mariella dann dazu, die scharfen Eckzähne mit einer Feile aus ihrem Mund verschwinden zu lassen. Unvergesslicher Schmerz, Übelkeit und brennende Augen waren die Folgen dieses vergeblichen Versuchs, endlich normal zu werden, so wie alle anderen, um endlich akzeptiert zu werden. Doch die ungebliebten Hauer wuchsen bereits nach einer Woche wieder auf
ihre ursprüngliche Größe zurück.
Lange lange Zeit habe ich nichts mehr von Mariella gehört. Sie ging aus Scham und wegen der Sensationsgier ihrer Nachbarn nicht mehr auf die Straße. Man erzählte sich sogar, sie habe alle Spiegel in ihrer Wohnung abgehängt, um sich selbst, der Missgestalt, als die sie sich betrachtete, nicht mehr unter die Augen treten zu müssen, zu der sie eines Nachts nach einem Biss geworden war, dem sie wehrlos ausgesetzt war. So begann sich selbst die Schuld an ihrem Aussehen zu geben. Irgendwann verlor sie dann sogar ihr Lächeln, welches selbst noch in größter Trauer und Angst ihr Gesicht erhellt hatte.
An einem Januarmorgen musste ich in der Zeitung von einer jungen Frau lesen, die man aus dem Fluss gefischt hatte. Einen Tod in dieser elenden Dreckbrühe hätte man nicht dem größten Verbrecher gewünscht. Ihr toter Körper war Verschlussache, die Zeitung berichtete nie von der Aufklärung ihres Todes.
Kalt ist der Fluss um diese Jahreszeit.
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Lost Prophets – 4:AM Forever